Die Infrarotthermografie hat sich durch technologische Fortschritte, einfache Anwendung und die kurze Erfassungszeit zu einer ökonomischen Assessmentmethode für die Sportmedizin, Leistungsphysiologie und Veterinärmedizin entwickelt. In diesem Beitrag stelle ich Ihnen Hintergründe, Erfahrungen und Anwendungsbeispiele aus Forschung und Praxis vor.
In der Leistungsphysiologie wird sie beispielsweise eingesetzt, um die Wirkung von Sportkleidung oder Sportequipment anhand von Infrarotkameras und Thermosensoren zu beurteilen (Nybo et al. 2012, Formenti et al. 2017). Bereits in den 90ern Jahren hat der Osteopath Jean-Pierre Barral in seinem Buch „Manuelle Thermodiagnose“ über den Einsatz der Infrarotthermografie berichtet. Heute werden Wärmebildkameras in der sportmedizinischen Praxis eingesetzt um Temperaturunterschiede im Kiefergelenk oder der unteren Extremität zu erfassen (Nanussi et al. 2010, Hildebrandt et al. 2012). Erste Studien in diesem Zusammenhang brachten hervor, dass Temperaturunterschiede in den Maximalpunkten (Hotspots) mit einem Unterschied von mehr als 0,5 bis 0,7°C ein Indikator für Gelenkschmerzen sein können. Dies bestätigte sich in eigens durchführten Fallstudien mit Leistungs- und Nachwuchssportlern.
Allerdings hat sich die Hotspot-Temperatur von 0.7°C bei größeren Stichproben nicht als valider Prädiktor für muskuloskelettalen Schmerz herausgestellt. Woran kann das liegen? Möglicherweise ist unser Untersuchungsprotokoll eine Ursache, da wir uns in den Untersuchungen auf Laufbelastungen bei gesunden Sportlern (n=40) beschränkt haben. In Fallstudien hingegen haben wir bei Sprints und Kraftübungen während des Aufbau- und Leistungstrainings Wärmeprofile erstellt und konnten den schmerzprädiktiven Charakter von Temperaturunterschieden feststellen (Kraus 2019, Kraus 2014). Dennoch gilt zu beachten, dass Schmerz ein vielschichtiges und vor allem ein subjektives Phänomen ist, welches durch die Schmerzsensorik, die Motivation, den emotionalen Zustand und andere Faktoren beeinflusst wird. Aus diesem Grund sind psychophysiologische Parameter wie die HRV, welche uns Aufschluss über die Balance des autonomen Systems gibt, zu erfassen, um genauere Aussagen treffen zu können.
Von diagnostischer Relevanz ist zudem, dass Schmerzen mit Koordinationsdefizitenl korrelieren (Hodges & Richardson, 1999). In eigenen Fallstudien bestätigte sich dies durch deutliche Koordinationsdefizite, die maximale Aktivierung als auch die Entspannungsfähigkeit,war in den wärmeren Hamstrings schlechter. (Kraus 2019) (Abb.1).
In der physiotherapeutischen Praxis wird häufig die manuelle Thermodiagnose oder Laserinfrarot-Thermometer eingesetzt, um mögliche Temperaturasymmetrien zu identifizieren. Die manuelle Thermodiagnose ist eine günstigste Methode, sie erfordert jedoch Übung und ist schwierig zu quantifizieren. Die Thermodiagnose mittels Laserinfrarot hingegen kann quantifiziert werden. Allerdings kann sie nicht direkt mit den Erkenntnissen der Wärmebildkameras verglichen werden, da die Geräte laut Hersteller einen Messfehler von ein bis zwei Grad Celsius aufweisen können. Die Wärmebildkameras von FLIR oder Testo haben einen sehr geringen Präzisionsfehler (<0,1 °C).
Außerdem hat die Auswahl der Messpunkte im Vergleich zur Infrarotthermografie den Nachteil, dass nur ein oder wenige Messpunkte die Basis für die Interpretation liefern. Demgegenüber entsteht bei der Infrarotthermografie durch viele Messpunkte ein Bild, welches qualitativ aber auch quantitativ analysiert werden kann. Zum Beispiel können neben den Hot-Spots auch Temperaturprofile und Cold-Spots angezeigt werden. Dies ist interessant um Aufwärmeffekte zu analysieren, oder in der kalten Jahreszeit den Einfluss der Witterung auf die Kniegelenke oder Muskeltemperaturunterschiede innerhalb der Muskelkette zu untersuchen. Zum Beispiel konnten Quasada et al. (2015) bei Läufern nach einem 20 Minuten-Lauf bei 75% der aeroben Leistungsfähigkeit unterschiedliche Erwärmungsprofile zeigen. In ihrer Untersuchung erwärmte sich der Quadrizeps um 1 Grad, das Knie um 2 Grad und die Achillessehne um 3 Grad.
Desweitern kann die Infrarotthermografie in Kombination mit einem EMG eingesetzt werden, um die metabole Dysbalancen dem Athleten in einem einfachen Bild zu verdeutlichen. Denn mit der Infrarotthermografie besteht die Möglichkeit, vorliegende metabole und mechanische Dysfunktionen zu screenen. Vor allem für die Erfassung der lokalen Ermüdung ist dies von besonderer praktischer Relevanz (Abb. 1).
Ein weiteres Anwendungsbeispiel besteht in der Physiotherapie: Insofern keine Wartezeit vorlag, kann die Thermographie als Initialscreening genutzt werden um einen Eindruck von der belasteten Muskulatur im Alltag zu bekommen. Auch als Feedback-Instrument in der Trainingstherapie ist die Thermographie ein geeignetes Hilfsmittel, um die individuelle Trainingswirkung einzelner Übungen besser zu verstehen und bei Bedarf zu korrigieren (Abb. 2 bis 4).
Die spanische Forschungsgruppe um Sanz-Lopez hat die Thermografie eingesetzt um mehr über das Verhalten der Achillessehne in Folge einer exzentrischen Überlastungstrainings bei Läufern im Vergleich zur Kontrollgruppe zu erfahren. Hier zeigten sich nur geringe Unterschiede am ersten Lauftag, jedoch nicht am zweiten oder dritten Tag. Schaut man sich die Trainingsintervention an, so erkennt man, dass das Training lediglich auf die Entwicklung der Streckerkette der unteren Extremität abzielte. Jedoch ist aus praktischer Sicht durchaus auch die Beugekette bzw. die dorsale Beinkette von besonderem Interesse für die Effizienz der Laufbewegung und somit für die Funktion der Achillessehne. Außerdem hätten zusätzliche Ultraschallunterschungen tiefere Einsichten über die morphologischen Anpassungen liefern können.
Fazit
Die Infrarotthermografie ist eine einfache, flexible und mittlerweile erschwingliche Screening-Methode für die Physiotherapie, das Muskelfunktionsscreening, Trainingssteuerung und Wettkampfsteuerung. Da sie nur oberflächlich die Temperatur abtastet, zählt die Infrarotthermografie nicht zu den exakten Diagnostikverfahren und sollte nicht als alleinige Grundlage für therapeutische oder trainingsmethodische Entscheidungen eingesetzt werden. Allerdings kann sie in Kombination mit subjektiven Eindrücken, Ultraschall, MRT, EMG oder Leistungsparametern eine interessante Perspektive für Athleten, Patienten, Trainer, Therapeuten und Medizinern liefern.
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Autoren
entwickelt und evaluiert Strategien zur Unterstützung der regenerativen Erneuerung und zum Schutz vor degenerativem Verfall. Dabei hilft ihm seine Erfahrung als wissenschaftlicher Gutachter und sein Können bei der Bewertung von Produkten, Training oder Therapien. Sein praktisches Know-How für den wirkungsvollen Talentschutz und regenerative Talententwicklung bringt Dr. Kraus bei Sportverbänden (IBU, BVDG) und Unternehmen (z. B. Hopital de la Tours) mit ein.