Die Prävalenz von lumbalen Rückenschmerzen beträgt in der deutschen Bevölkerung in allen Altersgruppen der Erwachsenen mehr als 50 % [1]. Auch unter Athleten, je nach Sportart, ist die Inzidenz für lumbale Rückenschmerzen hoch [2]. Muskuläre Dysbalancen, strukturelle Defizite,
aber auch biopsychosoziale Faktoren werden als Ursachen aufgeführt. Eine eingeschränkte oder
gar unzureichende Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung (60 %), führt gepaart mit nicht wissenschaftlich fundierten Informationen über Social Media zu Verunsicherung [3].
Meist führen mangelnde Bewegung, stundenlanges tägliches Sitzen bei der Arbeit und in der Freizeit zu muskulären Dysbalancen. Präventionsangebote für Rückengesundheit werden bereits von vielen Krankenkassen und der deutschen Rentenversicherung angeboten, von vielen jedoch nicht genutzt. Eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung sind die Grundlage für ein Arzt-Patientenkontakt mit Rückenschmerzen. Die Symptome müssen vollständig erfasst und dem körperlichen Untersuchungsbefund zugeordnet werden.
Der Einsatz von Sonographie, Elastographie, computerbasierter Analyse der Wirbelsäule sowie Scores für Hinweise auf yellow flags (z. B. DASS) geben weitere wichtige Hinweise. Schnittbilddiagnostik sollte nur bei Verdacht auf eine Erkrankung, die der Wirbelsäule zuzuordnen ist, durchgeführt werden. Eine eventuell vorliegende Bilddiagnostik weist ab einem Alter von mehr als 50 bis 55 Jahren zu mehr als 90 % degenerative Veränderungen auf [4]. Ärztliche Erfahrung wird nun benötigt, um die in der Bilddiagnostik zu erkennenden degenerativen Veränderungen mit Symptomen und den körperlichen Untersuchungsbefunden abzugleichen oder die sichtbaren degenerativen Veränderungen als Zufallsbefund zu werten. Neben den physiologischen Alterungsprozessen (Genetik) verursachen muskuläre Dysbalancen mit vielen externen Einflussfaktoren (z. B. Habitus, Epigenetik, Haltungsstörung) degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Sowohl mangelnde Bewegung als auch einseitige körperliche Belastung unterhalten die entsprechenden Haltungsstörungen (Abb. 1).
Die Haltungsstörung entsteht langsam schleichend meist über Jahrzehnte und wird maßgeblich durch die angeborene genetisch fixierte lumbosakrale Angulation bestimmt. Diese bestimmt sowohl die Wirbelsäulenform als auch die pelvine Ante- / Retroversion [5]. Klinisch finden sich vier anatomisch definierbare Beckentypen, wovon drei ursächlich für Schmerzen sein können. Typ A und B neigen zu symptomatischer azetabulären Retroversion. Insbesondere Typ B führt zur Retroversion des Beckens in Kombination eines Flachrückens, was ursächlich für den nicht-spezifischen Kreuzschmerz sein kann. Typ D führt zur azetabulären Anteversion und prädisponiert die Spondylolisthesis [5]. Die Haltungsformen werden dann durch myofasziale Verkürzungen, z. B. in der Hüftbeugemuskulatur, der ventralen und dorsalen Oberschenkelmuskulatur, die zu dauerhafter Vor- oder Rückrotation im Hüftgelenk führen, fixiert und verstärkt. Bei schwacher Rumpf- und Rückenmuskulatur kommt es im Verlauf zu segmentalen Ausgleichsbewegungen der Wirbelsäule, insbesondere der Lendenwirbelsäule [5].
Thorakolumbalfaszie
Auch myofasziale Verkürzungen der Thorakolumbalfaszie führen zu Schmerzen im Bereich des lumbasakralen Übergangs. Die Thorakolumbalfaszie bündelt die Kräfte der Rückenmuskulatur am Sakrum beim aufrechten Stehen und leitet diese über die Ligg. sacrotuberale bis zum Tuber ischiadicum. Die Thorakolumbalsfaszie besteht aus einem dreischichtigen Model. Die posteriore Schicht (PLF) besteht aus einer oberflächlichen Schicht, die aus der Aponeurose des M. latissimus. dorsi und des M.serratus post. inf. gebildet wird sowie einer tiefen Schicht. Dies ist die Faszienschicht um die paravertebrale Rückenmuskulatur. Die mittlere Schicht (MFL) wird von der Faszienschicht zwischen paraspinalen Muskeln und M. quadratus lumborum gebildet. Die anteriore Schicht (ALF) wird aus der Verlängerung der Aponeurose des M. transversus abdominis gebildet. Die gesamte Rumpfmuskulatur, also auch die seitliche Bauchwandmuskulatur, wirkt auf die Kräfteverteilung der Thorakolumbalfaszie ein, die letztendlich am Sakrum über mehrere Aponeurosen ansetzt. In immunhistochemischen Untersuchungen wurde eine hohe Dichte an Myofibroblasten in der Thorakolumbalfaszie ähnlich wie bei frozen Shoulder und Dupuytren‘scher Kontraktur gefunden [6]. Ursachen sind eine erhöhte mechanische Belastung, biochemische Veränderungen, TGF-β1 (hohe Sympathikusaktivität, Nährstoffmangel), inflammatorische Cytokine sowie Genetik [6]. Ebenso beeinflusst die Thorakolumbalfaszie die Beckenstabilität. M. transversus abdominis und Mm. obliquus abd. int und ext. ziehen die vorderen Anteile des Iliums zueinander, was wiederum zur Erhöhung des Drucks auf die Gelenkflächen im Sarkroiliacalgelenk (SIG) führt, um das Becken im aufrechten Stand zu stabilisieren [6, 7]. Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn auch eine dorsale Kraft verhindert, dass die Beckenschaufeln nach lateral abweichen. Weichen die Beckenschaufeln nach lateral, so öffnen sich die SIG, was wiederum die Bandstrukturen im Bereich des SIG überlastet und zu Schmerzen führt [6]. Diesem wirken die Thorakolumbalfaszie, M. transversus abdominis und die Ligamente um das SIG entgegen [6]. Zwischen der Thorakolumbalfaszie und dem Sakrum liegt der M. multifidus, der entscheidend für die Kraftübertragung der Thorakolumbalfaszie ist. Eine ausreichende muskuläre Balance der beteiligten Muskeln ist somit wichtig. Ein schlecht ausgebildeter oder lipomatös umgebauter M. multifidus in diesem Bereich vermindert die hydraulischen Mechanismen. Sitzen in Hyperlordose könnte zu einer vermehrten Anspannung führen, die letztendlich zu einem Kompartmentsyndrom führt [6, 8]. Die myofaszialen Dysbalancen bedingen eine unphysiologische Belastung der Wirbelsäule durch Entlordosierung bzw. Hyperlordosierung, was im weiteren Verlauf in einer Degeneration im Sinne von Bandscheibenschäden sowie einer Spondylarthrose mündet.
Fallbeispiel
Ein 34-jähriger ehemaliger Profi-Tennisspieler im Jugendbereich spielt heute noch neben einer Trainertätigkeit im Jugendbereich selbst in der Bundesliga Tennis. Nach Beendigung seiner Profikarriere reduziert sich der Trainingsumfang. Es kam zu einer Gewichtszunahme um mehr als 10 kg. Er entwickelte eine therapieresistente Lumboischialgie rechts entsprechend dem Dermatom S1. Im MRT zeigte sich ein Bandscheibenvorfall (NPP L5/S1) mediolateral rechts mit Kompression der S1-Wurzel (Abb. 2). Bei der körperlichen Untersuchung fällt ein leicht nach dorsal gekipptes Becken und ein Flachrücken im Bereich der LWS auf. Die paravertebrale Rückenmuskulatur ist verkürzt. Die seitliche Bauchwandmuskulatur ist leicht geschwächt. Durch die Verkürzung der paravertebralen Rückenmuskulatur kommt es bei insgesamt eher steil stehender LWS zu einer segmentalen Hyperlordosierung im Segment L5/S1 und somit zu einer Mehrbelastung in diesem Segment. Die dauerhaften Scherkräfte bei Rotation des Rumpfes mit großen Kräften bei Vor- als auch Rückhand, führt bei mangelnder Rumpfstabilität zu einer Schädigung des vulnerablen Segmentes. Auch die Bandscheibe L4/5 zeigt bereits eine beginnende Diskopathie. Lange bleibt eine solche degenerative Veränderung der Bandscheiben im Sinne einer Diskopathie asymptomatisch. Ein Riss im Anulus fibrosus führt dann im Verlauf zum Bandscheibenvorfall mit entsprechender Symptomatik.
Viele Athleten haben bereits Dehnübungen, Faszienbehandlung und Stabilitätstraining in ihr Training eingebaut, klagen jedoch über therapieresistente Rückenschmerzen. Nur durch eine ausführliche körperliche Untersuchung durch einen erfahrenen Orthopäden, der sich mit myofaszialen Erkrankungen beschäftigt und durch „Body reading“ die Haltungsdefizite erfasst, kann die Ursache der Beschwerden diagnostiziert werden. Hierbei werden die Statik, Haltungsform, Beckenkippung, muskuläre Dysbalancen und Beweglichkeit überprüft. Mit einem strahlungsfreien Rückenscan lassen sich die Untersuchungsbefunde für den Patient verifizieren. Übungen zur Besserung der Dysbalancen, Beckenkippung und Statikverbesserung sollten in das Training integriert werden und nicht den Trainingsumfang zusätzlich erweitern. Der Fokus des additiven Krafttrainings sollte primär auf der Glutealmuskulatur und seitlichen Bauchwandmuskulatur liegen. Hierzu eigenen sich Lunches mit dem vorderen Bein auf einem Balance Ball. Dies stärkt die Glutealmuskulatur und den gesamten Rumpf und trainiert das Gleichgewicht. Planks gehören in jedes Training für die Kräftigung des Rumpfes mit eingebaut. Je nach Trainingszustand können diese in unterschiedlicher Ausführung erfolgen. Seitliches Dehnen und Kräftigen der Rumpfmuskulatur (M.quadratus lumborum) kann in einer Übung z. B. seitlich auf dem Rückenstrecker-Gerät, durchgeführt werden. Regelmäßig sollte die Oberschenkelmuskulatur sowohl ventral als auch dorsal gedehnt werden und die dort entstehenden myofaszialen Verklebungen mit der Faszienrolle bearbeitet werden. Auf eine exakte Ausführung der Übungen sollte unbedingt geachtet werden. Hierbei sollte vor Beginn der Übung immer überprüft werden. ob eine Anspannung der Glutealmuskulatur und Rumpfmuskulatur besteht und der Stand stabil ist. Der unspezifische Einsatz von Orthesen für die Rumpfmuskulatur sind beim Krafttraining für Freizeitathleten nicht zu empfehlen. Ausnahmen sind spezielle Kraftsportarten wie professionelles Gewichtheben oder Training mit sehr hohen Gewichten. Die Gewichte sollten immer dem Trainingszustand angepasst sein, um eine korrekte Ausführung zu gewährleisten. Ziel ist eine schmerzfreie Ausübung des Sports sowie Prävention, um Langzeitschäden durch unphysiologische Belastung zu vermeiden.
Literatur
- von der Lippe E, Krause L, Porst M, Wengler A, Leddin J, Müller A, Zeisler M-L, Anton A, Rommel A: BURDEN 2020 study groupPrävalenz von Rücken- und Nackenschmerzen in Deutschland. Ergebnisse der Krankheitslast-Studie BURDEN 2020; Journal of Health Monitoring · 2021 6(S3) DOI 10.25646/7854 Robert Koch-Institut, Berlin
- Mayer F, Arampatzis A, Banzer W, Beck H, Brüggemann G-P, Hasenbring M, Kellmannn M, Kleinert J, Schiltenwolf M, Schmidt H, Schneider C, Stengel D, Wippert P-M, Platen PMedicine in Spine Exercise (MiSpEx) a national Research Network to evaluate Back pain. Dtsch Z Sportmed. 2018;69: 229-235
- Schaeffer, D., Berens, E.-M., Gille, S., Griese, L., Klinger, J., de Sombre, S., Vogt, D., Hurrelmann, K. (2021): Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2. Bielefeld: Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK), Universität Bielefeld. DOI: https://doi.org/10.4119/unibi/29503
- Cheung K, Karppinen J, Chan D, Ho D, Song Y-Q, Sham P, Cheah K, Leong J, Luk K. Prevalence and Pattern of Lumbar Magnetic Resonance Imaging Changes in a Population Study of One Thousand Forty-Three Individuals. Spine 2009; 34(9): 934-940
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- Willard FH, Vleeming A, Schuenke MD, Danneels L, Schleip R. The thoracolumbar fascia: anatomy, function and clinical considerations. J Anat 2012; 221:507-536
- Pel JJM, Spoor CW, Pool-Goudzwaard AL, Hoek van Duke GA, Snijders CJ. Biomechanical Analysis of Reducing Sacroiliac Joint Shear Load by Optimization of Pelvic Muscle and Ligament Forces. Ann Biomed Eng 2008; 36, 3: 415–424
Autoren
ist Fachärztin für Orthopädie/Unfallchirurgie und für allgemeine Chirurgie. Sie ist Chefärztin im Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie und Rückentherapie, Karl Olga Krankenhaus Stuttgart Sana Kliniken AG. In ihrer Spezialsprechstunde bietet sie konservative Rückentherapie und Prävention sowie Mikronährstofftherapie an.