Eine möglichst schnelle, aber auch eine möglichst sichere und nachhaltige Rückkehr zum Fußball, ist das Ziel aller Spieler und Vereine, wenn aufgrund einer Verletzung Ausfallzeiten entstanden sind. Ein systematischer und progressiver Belastungsaufbau zur Rekonditionierung ist notwendig, um die Belastbarkeit wieder herzustellen und die Athleten auf das Mannschaftstraining und den Wettkampf vorzubereiten.
Dabei helfen kriterien- und funktionsbasierte Rehabilitationsansätze, welche die Nachbehandlung objektivieren. Der Return to Activity Algorithmus® (RTAA®) hat sich in den letzten Jahren in der klinischen Praxis und im Leistungssport, insbesondere im Fußball, etabliert.
Hintergrund
Nach Verletzungen oder Operationen mit langen Ausfallzeiten kann der Weg zurück zum Fußball als ein komplexer und interdisziplinärer Prozess gesehen werden. Dabei werden Spieler stufenweise und möglichst nachhaltig auf die fußballspezifischen Belastungen vorbereitet. Entsprechend müssen die Therapie- und Trainingsinhalte dem aktuellen Status der Rehabilitation angepasst sein. Um den Prozess zu objektivieren und den Verlauf zu kontrollieren, werden vor allem Funktionsanalysen und sportmotorische Tests eingesetzt. Mit ihnen werden sowohl die Bewegungsqualität als auch die Bewegungsquantität beurteilt [1, 2]. Diese Tests sollen im Verlauf des Rehabilitationsprozesses die Belastbarkeit überprüfen und sicherstellen, dass Spieler nicht zu früh, also mit posttraumatischen Defiziten, zur sportlichen Belastung zurückkehren. Dadurch soll vor allem das Risiko einer Re-Verletzung minimiert werden [3 – 5]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Begrifflichkeiten, welche die Rückkehr zum Sport beschreiben, nicht konsistent oder sogar irreführend verwendet werden. Return to Activity (RTA), Return to Sport (RTS), Return to full Training (RTT), Return to Competition (RTC) oder Return to Performance (RTP) sollten nicht als Synonyma verwendet werden und auch nicht für einen fixen Zeitpunkt stehen (Abb. 1). Sie beschreiben vielmehr einzelne Stufen innerhalb des Rehabilitationsprozesses, an deren jeweiligem Ende bestimmte Funktionen erreicht und Belastungen toleriert werden müssen [1, 6].
Als besonders kritische Stufe kann „RTA“ betrachtet werden. Obwohl noch nicht alle Wundheilungsprozesse abgeschlossen sind, ist es notwendig, dass Patienten sich an Belastungen gewöhnen und mit einer Rekonditionierung beginnen. Beim Übergang von der Frühphase hin zur Aufnahme der sportartspezifischen Belastung muss sichergestellt werden, dass Basisfunktionen wie Gehen, Laufen und Springen aber auch grundlegende Bewegungsmuster wie Einbeinstand, Kniebeuge oder Ausfallschritt wieder beherrscht werden. Sie sind die Voraussetzung für alle komplexen und intensiven Komponenten, wie sie im Mannschaftstraining und Wettkampf vorkommen. Um diese Stufe besser darstellen zu können, hat sich in den letzten Jahren der Return to Acitivity Algorithmus (RTAA) zur Steuerung der Rehabilitation etabliert und ist ein wichtiges Werkzeug zur Steuerung der Rehabilitation im Profifußball geworden [1].
Der Return to Activity Algorithmus (RTAA®)
Der RTAA besteht aus vier Leveln mit jeweils zunächst einem qualitativen und einem sich daran anschließenden quantitativen Test. Im ersten Level wird überprüft, ob eine einbeinige Kniebeuge bis ca. 45 ° Hüft- und Knie-Flexion durchgeführt werden kann. Ist dies der Fall, dann wird durch den Y-Balance Test das unilaterale Kniebeugemuster quantifiziert. Ab dem zweiten Level wird dann die Landekontrolle und Belastungsspitzen (Impacts) durch verschiedene Sprünge beurteilt und somit eine Belastungserprobung durchgeführt. Dabei sind die ausgewählten Sprungtests richtungsspezifisch und von Level zu Level progressiv. Der Balance Front Hop, Front Hop Test und der modifizierte Front Hop Test, bei dem mit einem Bein abgesprungen und beiden Beinen gelandet wird, finden in der Sagittalebene statt. Im dritten Level finden die Sprünge in der Frontalebene statt und sind als Balance Side Hop und der Side Hop Test beschrieben. Der 90° Balance Hop und der Square Hop Test evaluieren die Funktion im vieren Level in der Transversalebene (Abb. 2). Bei der Durchführung der Test wird grundsätzlich immer auf der nicht betroffenen Seite gestartet und anschließend die betroffene Seite beurteilt. Der RTAA ist nicht nur eine Testbatterie, die im gesamten Prozess der Rehabilitation einsetzt werden kann, sondern liefert auch konkrete Empfehlungen für die Auswahl der Reha-Übungen und Belastungssteuerung [1].
Die Beurteilung der Bewegungsqualität
Bei den qualitativen Tests dürfen Probedurchgänge durchgeführt werden, bei denen Korrekturen und Coaching erlaubt sind. Es werden dann zwei Wertungsversuche je Seite durchgeführt und dabei gefilmt. Der jeweils bessere Versuch wird anhand beschriebener Kriterien bewertet (Tabelle). Bei Spielern, die sich in der Rehabilitation befinden, sollte der qualitative Test bestanden werden, bevor der quantitative Test des korrespondierenden Musters durchgeführt wird. Grundsätzlich können pro Seite fünf Punkte erreicht werden. Sind alle Kriterien erfüllt, gilt der Test als bestanden. Sollte eine oder mehre Kriterien nicht erfüllt sein, stehen diese Auffälligkeiten als Potenziale, die durch Trainingssteuerung und Übungsauswahl in der Rehabilitation verbessert werden sollen, zur Verfügung.
Die Beurteilung der Bewegungsquantität
Die vier quantitativen Tests stellen vor allem eine Belastungserprobung dar und definieren, ob der Spieler eine Belastungssteigerung tolerieren kann. Beim Y-Balance Test und dem Front Hop Test werden die Weiten in Zentimetern gemessen. Diese werden anschließend auf die individuelle Beinlänge normiert. Beim Side Hop und Square Hop Test werden die Kontakte gezählt. Für die Bewertung werden die gültigen Kontakte (Gesamtkontakte – Fehler) herangezogen. Neben der Mindestweite bzw. Mindestkontakten wird in den jeweiligen Level eine Seitensymmetrie (Limb Symmetry Index, LSI; beschreibt den Seitenunterschied der betroffenen zur nicht betroffenen Seite in Prozent) von mindestens 90 % erwartet. Erreicht der Patient die Vorgaben nicht, muss hinterfragt werden, inwieweit die den Level zugeordneten Belastungsmuster freigegeben werden sollten. Allerdings muss der LSI als alleinige Entscheidungsgrundlage (Cut off Wert) für eine Belastungsaufnahme auch kritisch betrachtet werden. Gerade eine Seitendominanz, die beispielsweise bei einigen Disziplinen oder Sportarten stark ausgeprägt sein kann, beeinflusst die Bewertung des Seitenvergleiches deutlich [7, 8]. Daher können die Werte aus einem „Pre Injury Screening“ als Goldstandard betrachtet werden [9]. Daten, die vor einer Verletzung erhoben wurden, werden als Referenzwerte im Falle einer Verletzung genutzt. Um immer mit aktuellen Baseline-Werten arbeiten zu können, werden regelmäßige Datenerhebungen im Rahmen von Pre Injury Screenings empfohlen [10]. Normwerte einzelner Spieler oder Mannschaften können ebenfalls als Vergleichswerte dienen [11]. Ergebnisse von unverletzten 95 männlichen Profifußballern der ersten Bundesliga dienen der Orientierung und können als Erwartungsgrundlage verwendet werden (Abb. 3). Die Vergleichbarkeit der Testresultate ist zwingend an eine einheitliche Anleitung und Ausführung der Tests gebunden [12]. Im Rehabilitationsprozess wird empfohlen, in regelmäßigen Abständen Testungen zu wiederholen, um die Entwicklung der Funktion im Verlauf abzubilden [1]. Oft werden die beschriebene Kriterien als harte „Cut Off Werte“ eingesetzt, die darüber entscheiden, ob die nächste Stufe im Rehabilitationsprozess erreicht wird oder eine Person zurück zum Sport darf. Die Bewertungsmöglichkeiten sollten jedoch als Orientierungswerte betrachtet werden, die dem Spieler, Trainer, Arzt und Therapeuten anhand eines funktionellen Profils helfen, Entscheidungen besser zu treffen.
Fazit für die Praxis
- Der RTAA dient vor allem als Werkzeug, die Belastung zwischen der Frühphase und der Rückkehr zu sportartspezifischen Inhalten zu steuern.
- Um die Ergebnisse des RTAA richtig interpretieren und im Verlauf vergleichen zu können, ist es notwendig, sich an das Testprotokoll zu halten.
- Adäquate Basisfunktionen erlauben eine progressive und frühfunktionelle Rekonditionierung auf dem Platz.
Literatur
- Keller, M., Kurz, E., Schmidtlein, O., Welsch, G., & Anders, C. (2016). Interdisziplinäre Beurteilungskriterien für die Rehabilitation nach Verletzungen an der unteren Extremität: Ein funktionsbasierter Return to Activity Algorithmus. Sportverletz Sportschaden, 30(1), 38-49.
- Keller, M., Diemer, F., & Kurz, E. (2022). Tests zur Beurteilung der Bewegungsqualität nach ligamentären Verletzungen des Kniegelenks: eine systematische Übersichtsarbeit. Sportverletz Sportschaden, 36(1), 38-48.
- Wilk, K. E., Macrina, L. C., Cain, E. L., Dugas, J. R., & Andrews, J. R. (2012). Recent advances in the rehabilitation of anterior cruciate ligament injuries. J Orthop Sports Phys Ther, 42(3), 153-171.
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- Esteve, E., Casals, M., Saez, M., Rathleff, M. S., Clausen, M. B., Vicens-Bordas, J., . . . Thorborg, K. (2022). Past-season, pre-season and in-season risk assessment of groin problems in male football players: a prospective full-season study. Br J Sports Med, 56(9), 484-489.
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Das Netzwerk der OSCOACHES besteht aus Experten, die in der Anwendung von Funktionsanalysen ausgebildet sind und den Return to Activity Algorithmus® (RTAA®) an Patienten und Sportlern anwenden.
Autoren
ist Physiotherapeut und Leiter sowie Inhaber OSINSTITUT ortho & sport und PREHAB LAB® sportphysiotherapie, München. Er ist in beratender Funktion für mehrere Vereine und Verbände im Spitzensport tätig und ist Mitglied im Komitee Rehabilitation der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA).
ist Dipl.-Sportwissenschaftler und Leiter der Abteilung Prävention und Rehabilitation der Lizenzspielerabteilung des VfB-Stuttgart. Seine Schwerpunkte liegen in der Verletzungsprävention und im rehabilitativen Individualtraining.
ist Physiotherapeut und Reha- & Athletiktrainer der Lizenzspielerabteilung von Borussia Dortmund sowie Dozent im OSINSTITUT und in der DOSB Trainerakademie. Seine Schwerpunkte liegen in der Rehabilitation nach Verletzungen, in der Verletzungsprävention und im athletischen Individualtraining.
ist Dipl.-Sportwissenschaftler und Sporttherapeut, Athletiktrainer sowie wiss. Mitarbeiter im Labor für Experimentelle Orthopädie & Sportmedizin am Department für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg. Außerdem ist er Dozent und Leiter des Forschungsbereichs am OSINSTITUT.