Die jüngeren Erwachsenen erleiden klassischerweise Hochenergietraumen durch den meist hohen Aktivitätsgrad. Niedrigenergietraumata werden dem höheren Lebensalter zugeschrieben. In der Nachbehandlung von Tibiakopfrakturen findet, je nach Versorgungsstrategie, die Mobilisation unter Entlastung oder mit Teilbelastung (TB) statt [7].
Nachbehandlungskonzept
Bereits am Operationstag liegt der Fokus auf der Vermeidung von Komplikationen. Maßnahmen wie Schmerz- und Schwellungsreduktion kombiniert mit Pneumonie- und Dekubitusprophylaxen werden als Standard angesehen. Ab dem ersten postoperativen Tag steht die Aktivierung der Patienten begleitet von schmerzreduzierenden und abschwellenden Maßnahmen, wie Lymphdrainage und lokale Kryotherapie, im Mittelpunkt. Die Ansteuerung und damit verbundene aktive Nutzung der Muskulatur gilt als Grundvoraussetzung für das Transfer- und Haltungstraining unter Einhaltung der Belastungsvorgaben [5, 13]. Hier trägt die postoperative Gangbelastung, mit adäquaten Hilfsmitteln, entscheidend zur Frakturheilung bei und kann diese somit beeinflussen [3]. Belastungsvorgaben werden mit TB in Kilogramm (kg) definiert und ausschließlich subjektiv durch die Betroffenen evaluiert. Eine objektive, kontinuierliche Kontrolle durch die behandelnden Personen ist derzeit kein Standard in der Nachbehandlung [8]. Ein entscheidender Faktor stellt die Compliance der Betroffenen dar [3]. Daher werden seit längerem evidenzbasierte und individuelle Nachbehandlungsempfehlungen gefordert [3, 14]. Durch die geringe Compliance und die fehlenden Kontrollmöglichkeiten können TB-Vorgaben nur erschwert eingehalten bzw. geschult werden [6, 7, 10]. Prinzipiell gibt es zur Vermittlung von Belastungsstandards die belehrende Methode wie die Knowledge-of-Results-Technik oder die Variante mittels Echtzeitfeedback [15, 16]. Bei der gängigsten Methode wird mittels einer Personenwaage die Teilbelastungsvorgabe trainiert, Studien zeigen hier jedoch eine geringe Compliance und es wird ausschließlich die statische Situation evaluiert [4, 11, 12]. Die Überlegenheit von Biofeedback-Systemen im Vergleich zu anderen Vermittlungsstrategien wurde bereits mehrfach nachgewiesen [9, 10].
Vorgaben hinsichtlich der Kniegelenkbeweglichkeit werden mittels Orthesen limitiert. Hier ist das Handling und die zeitliche Komponente entscheidend, jedoch ist das Bewegen im vorgegebenen Ausmaß notwendig und dazu finden frühzeitig passive Bewegungsschienen ihre Anwendung [5, 13]. In der Phase der geltenden TB-Vorgaben, bis zur sechsten postoperativen Woche, liegt der therapeutische Schwerpunkt im Bereich der Vorbereitung der Vollbelastung [5, 13]. Die Belastungsstabilität wird bis zur zwölften postoperativen Woche erreicht. Dementsprechend ändern sich die erlaubten Belastungen und eine Vollbelastung der betroffenen unteren Extremität soll gewährleistet werden. Die Zielsetzung ist die Wiederherstellung eines physiologischen Gangbildes [5, 13].
Bis zur 16. postoperativen Woche wird die Trainingsstabilität generiert. In dieser Phase zählen rehabilitatives Funktionstraining, sportphysiotherapeutische Maßnahmen, sportbezogenes Funktionstraining und Belastungserprobungen mit dementsprechenden Return-To-Activity, Return-To-Play und Return-To-Sport Testungen zu den To-dos. Der funktionelle Meilenstein ist die beschwerdefreie Bewältigung des Alltags sowie als auch die Aufnahme des Berufs bei schweren Tätigkeiten [5]. Low impact Sport wird mit zyklischen Sportarten gleichgesetzt und hier gilt das beschwerdefreie Laufen bzw. als zeitlicher Aspekt die 24. postoperative Woche als Orientierungspunkt. Bei high impact Sport wird dies mit azyklischen Sportarten, dem beschwerdefreien Springen bei einem Limb Symmetry Index (LSI) > 90 und einer zeitlichen Komponente von 36 Wochen nach der Operation limitiert [5]. Der LSI ist ein Leistungsverhältnis zwischen Gliedmaßen und zeigt Differenzen bei der Kraft, Funktion und Mobilität auf.
- Berechnung: betroffenes Bein / nicht betroffenes Bein *100
- Vorteil: klinisch einfach anzuwenden
- Nachteil: fehlende Baselinemessung (prätraumatisch)
- Werte ≥ 90 % gelten als zufriedenstellend [2].
Case
Patient männlich, 45 Jahre, beim Skifahren gestürzt. Im Zuge der Röntgenuntersuchung zeigt sich eine Fraktur des lateralen Tibiaplateus, die CT-Untersuchung verifiziert das Ergebnis der Röntgenuntersuchung und es wird ein Impressionsspaltbruch des lateralen Tibiaplateus mit minimaler Dislokation und ein ausgeprägter Gelenkserguss beschrieben.
Operative Maßnahmen
Punktion des Gelenksergusses, Anlage Oberschenkelgipsverband gespalten bis zur operativen Versorgung. Versorgung mittels zwei Schrauben und einer LCP-Platte. Postoperatives Procedere: Kniegelenksorthese für sechs Wochen, die ersten drei Wochen im Ausmaß von S 0-0-60, danach freie Beweglichkeit. Für sechs Wochen TB von 15 – 20 kg.
Therapeutische Maßnahmen
Pneumonieprophylaxe, Dekubitusprophylaxe, Kryotherapie, Transferschulung (Rückenlage-Sitz-Stand und retour), aktive Bewegungsmaßnahmen der angrenzenden Gelenke. Passive Bewegungsschulung des Kniegelenks mittels Motorschiene im vorgegebenen Ausmaß, Gangschulung mittels zwei Unterarmstützkrücken unter Einhaltung der TB von 15 – 20 kg mittels Messsohlen und dazugehöriger App auf der Ebene und an der Stiege. In einer Pilotstudie, durchgeführt im AUVA Unfallkrankenhaus Klagenfurt am Wörthersee, wurde die Anwendung der stappone-Messsohlen (Schuheinlage) mit dazugehöriger APP, stapp one rehab (beides stAPPtronics GmbH), mit Live-Feedback (Abb. 1) und Benutzungsreport (Abb. 2), als unterstützend eingestuft und es zeigte sich ein starker Trend, die Compliance bei der Einhaltung der TB-Vorgabe positiv beeinflussen zu können. Stationäre Entlassung am vierten postoperativen Tag.
Maßnahmen im ambulanten Setting
Entstauende Maßnahmen, Narbenbehandlung und -pflege, aktive Bewegungsmaßnahmen des Kniegelenks im vorgegebenen Bewegungsausmaß, Mobilisationstechniken, isometrische Muskelaktivierung, Gangschulung unter Einhaltung der TB-Vorgaben, muskelkräftigende Elektrotherapie, Kräftigung der Muskulatur der unteren und der oberen Extremitäten, Rumpfstabilisationsübungen und Rumpfkräftigung (vgl. Abb. 3). Nach sechs Wochen Röntgenkontrolle mit geheiltem Frakturnachweis. Belastungsaufbau bis hin zur Vollbelastung, Beinachsentraining, Erweiterung der Gelenksmobilität u. a. mit manuellen Therapiemaßnahmen, Sensomotoriktraining mittels labilen Therapiegeräten und Koordinationsleiter, Gang-ABC, Kräftigung der Beinmuskulatur gerätegestützt und mit freien Zusatzgewichten, sportmotorisches Training im Zuge von Einzel- und Gruppentherapien, Lauf-ABC. Nach fünfzehn Wochen erreicht der Patient bei der Return-To-Activity Testung, beinhaltet sensomotorische und sprungtechnische Übungen, einen LSI von 90 – 105. In der 24. Woche klinisch und röntgenologische Abschlusskontrolle. Der Patient ist beschwerdefrei, das Bewegungsausmaß ist seitengleich bei S 0-0-130. Die Fraktur knöchern geheilt.
Fazit
Ein Behandlungskonzept dient in der Nachbehandlung als Richtungsgeber für das multiprofessionelle Behandlungsteam und sollte, wie angeführt, mit zeitlichen, funktionellen und belastungssteuernden Vorgaben bzw. Zielen bestückt sein. Im Bereich der Belastungsvorgaben und deren Einhaltung spielt die Sensortechnik eine entscheidende Rolle und hier ist ein Feedbacksystem objektiv von Seiten der Behandler und subjektiv aus der Sicht der Betroffenen ein unterstützendes Tool. Dies gilt es in die Behandlung zu integrieren. Bei der Belastungsverträglichkeit in Richtung sportliche Aktivitäten und Wiederaufnahme des Sports sind diverse sportartspezifische Testbatterien bereits gut erprobt, es müssen jedoch auch Limitationen hinsichtlich eventueller Risikovoraussagen berücksichtigt werden. Somit gilt Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse solcher Testungen.
Literatur
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Autoren
ist Physiotherapeut / Sportphysiotherapeut und leitet die Physiotherapie am AUVA, Unfallkrankenhaus Klagenfurt am Wörthersee. Außerdem betreut er Spieler diverser Teams der ICE Hockey League sowie weitere professionelle Athleten diverser Sportarten bis hin zu Sportlern des Schulsportleistungsmodell Kärnten und Judo Nachwuchssportlern.