Die überarbeitete S3-Leitlinie zur Gonarthrose [1] als wichtigste deutschsprachige Handlungsempfehlung hat gemischte Reaktionen hervorgerufen und im Hinblick auf die empfohlenen Therapieverfahren reichlich Anlass zur Diskussion geboten [2, 3].
Beim aufmerksamen Lesen fallen jedoch bereits in der Kurzfassung folgende „starke“ Empfehlungen auf, denen in diesem Beitrag besondere Beachtung geschenkt werden soll:
„Für eine nachhaltigere Gesundheitsversorgung empfehlen wir die: […]
- Förderung umweltfreundlicher Lebensstile: Aufklärung und Beratung zu pflanzenbasierter Ernährung, aktiver Mobilität (wie Gehen und Radfahren) und nachhaltigen Alltagspraktiken.
- Priorisierung ressourcensparender Behandlungsoptionen (bei Gleichwertigkeit der Therapie): Empfehlung nicht operativer Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Verhaltensanpassung und Gewichtsmanagement, bevor invasive Verfahren in Betracht gezogen werden.“ [1]
Neben der Förderung eines aktiven Lebensstils mit Fokus auf Mobilität (z. B. Gehen und Radfahren im Alltag, Treppensteigen statt Aufzugfahren) kommt der Bewegungstherapie als evidenzbasierter Behandlungsmethode eine unstrittig grundlegende Bedeutung zu, der nun in der Versorgungspraxis endlich Rechnung getragen werden sollte. Doch wie genau sollte diese Bewegungstherapie aussehen? Um diesem originär sportmedizinischen und zugleich hoch translationalen Bereich mehr Kontur zu verleihen, lohnt sich ein Blick in die kürzlich erschienene systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Yan et al. [4]. Das Autorenteam verglich dabei sechs Trainingsmethoden hinsichtlich ihrer Wirkung auf Schmerzreduktion, Funktion, Gangbild und Lebensqualität. Unter diesen schnitt Aerobic exercise (Gehen, Laufen, Radfahren, Schwimmen) als First-Line-Treatment am besten ab. Darüber hinaus wurden auch Kräftigungs-, Flexibilitäts- und Koordinationsübungen sowie so genannte Mind-Body-Exercises [5] untersucht und als positiv eingestuft. Die letztgenannte Übungsform als Teil der Mind-Body-Medizin [6], die bereits in früheren Arbeiten zur Gonarthrose berücksichtigt wurde [7, 8], kann einen wertvollen Beitrag zur Behandlung von Arthrosebeschwerden leisten und dabei den Blick vom schmerzhaften Kniegelenk auf die ganze Person lenken. Ganz im Sinne des holistischen Konzepts der Whole-Person-Health [9], das auch im Rahmen der Prähabilitation [10] immer bedeutsamer wird. Dabei wird die betroffene Person zum aktiven Teil des Behandlungsteams, womit Selbstwirksamkeit und Teamwork in den Mittelpunkt rücken sowie Adhärenz gefördert wird. Interventionen aus der Mind-Body-Medizin können gerade dann auch zum Einsatz kommen, wenn „traditionelle“ Therapieansätze wie Aerobic exercise aufgrund der körperlichen Verfassung oder anderer Hindernisse nicht durchgeführt werden können.
Targeted Nutrition
Neben Bewegung als Therapie und Verhaltensanpassung im Sinne einer Stärkung der Selbstwirksamkeit erwähnt die S3-Leitlinie auch explizit die pflanzenbasierte Ernährung [1] als wichtigen Bestandteil der Arthrose-Behandlung – sie hebt damit das Konzept einer Targeted Nutrition [11] hervor. Zu den zentralen Aspekten gehören eine ausreichende Proteinzufuhr mit gezielter Aminosäuren-Zusammensetzung, die Zufuhr von Kollagen [12, 13] und Ballaststoffen [14, 15] sowie ergänzend die systemische Enzymtherapie [12, 13, 16, 17], Vielstoffgemische [18] und Phytopharmaka. Besonders Curcuma [19 – 24] kommt hierbei eine zunehmend wissenschaftlich belegte Rolle in der Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung bei degenerativen Erkrankungen wie der Arthrose zu.
Dieses Wissen verdient es, in der täglichen Versorgung Beachtung zu finden und praktisch erprobt zu werden – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung etablierter Therapieformen. Wir sollten die Chance nutzen, solche Ansätze weiter zu prüfen, anzuwenden und kritisch zu beobachten, um das Feld der konservativen und regenerativen Medizin um wertvolle biologische Optionen zu erweitern.
Mind-Body-Medizin und Shared Medical Appointments
Der Mind-Body-Medizin wird zusätzliche Bedeutung hinsichtlich der Reduktion inflammatorischer Biomarker [25] sowie im individuellen Umgang mit psychosozialem Stress [26] beigemessen. Self-Management und Patientenedukation sind individuell und eng mit der Lifestyle-Medicine verknüpft. Sie erfordern sowohl für Patienten als auch für Therapeuten gezielte Aus- und Weiterbildungsstrategien. Diese Ansätze müssen nun konsequent in die reale Versorgung integriert werden – analog zur bereits etablierten Sport- und Bewegungstherapie. Die Onkologie liefert mit dem Konzept der Exercise Oncology [27] einen interessanten, differenzierten und präzisen Weg, während die sich derzeit weiterentwickelnde Prähabilitation [10] als Rahmen (Framework) dienen kann. Das dabei in Bezug auf die Prähab entstehende „Open Window“ bietet die Möglichkeit, diese innovativen Ansätze nachhaltig zu verankern. Nutzen wir es und lassen die notwendigen Veränderungen in der medizinischen Versorgung Realität werden. Wie bereits in dem Fachartikel von Lison & Lison betont, sind all diese Entwicklungen nahezu alternativlos [28]. Das salutogenetische Potenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft – es ebnet vielmehr den Weg in eine neue Ära der medizinischen Versorgung, ganz im Sinne der auch von Professor Herbert Benson und Professor Jon Kabatt-Zinn [29] geprägten Mind-Body-Medizin [6, 30].
Zukunftsweisend erscheint explizit in diesem Zusammenhang auch das kosteneffiziente Konzept der Shared Medical Appointments (SMA) [31, 32]. Dieses Modell gemeinsamer medizinischer Konsultationen [29] ermöglicht eine effiziente, interdisziplinäre und teamorientierte Umsetzung von Mind-Body-Ansätzen wie auch Lifestyle-Medicine – mit den Patienten als aktiven Mitgliedern ihres therapeutischen Prozesses.
In dem aktuellen Artikel „Ärzte-Bashing statt Wissenschaft“, erschienen in der Orthopädie und Unfallchirurgie 2025 15(5), betonen die Autoren Dr. Burkhard Lembeck (Präsident der BVOU) und Janosch Kuno (Presse BVOU), „dass Patienten zu Recht von ihren Behandelnden erwarten, dass ehe operiert wird, vorher alle konservativen Therapien ausgeschöpft werden, auch wenn die Evidenz dafür schwach ist. Das gelte insbesondere bei chronischen Beschwerden wie Arthrose oder Sehnenreizungen, wenn Standardtherapien nicht helfen.“ Gerade auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint uns der Artikel „Integrative Arthrose-Therapie“ aktueller und wichtiger denn je. Wir freuen uns auf die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet.
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„Es zeigt sich, dass die Medizin in den vergangenen 30 Jahren erkannt hat, dass das mysteriöse dynamische Gleichgewicht, das wir Gesundheit nennen, sowohl Körper als auch Geist umfasst und durch bestimmte Qualitäten der Aufmerksamkeit gestärkt werden kann – Qualitäten, die nährend, regenerierend und heilend wirken können. Wir alle besitzen diese Fähigkeit – setzen wir sie ein.“ Jon Kabat-Zinn aus dem Buch „Coming to Our Senses” (2005)
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Aktueller Studientipp Tai Chi hilf bei Knieschmerzen und verbessert die Kniefunktion bei Menschen mit Kniearthrose. Zhu SJ, et al. Online Unsupervised Tai Chi Intervention for Knee Pain and Function in People With Knee Osteoarthritis: The RETREAT Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. Published online October 27, 2025. doi:10.1001/jamainternmed.2025.5723
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Literatur
[1] Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.: Prävention und Therapie der Gonarthrose Version 5.0, 15.07.2024: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/187-050
[2] Stellungnahme des BVOU zur Kritik an IGeL-Leistungen. BVOU 2025 https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/20313/stellungnahme-des-bvou-zur-kritik-an-igel-leistungen/
[3] Hyaluron-Spritzen bei Kniearthrose. Nutzen und Risiko. NDR Visite 02.09.2025. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/20498/hyaluron-spritzen-bei-kniearthrose/
[4] Yan L. et al. Comparative efficacy and safety of exercise modalities in knee osteoarthritis: systematic review and network meta-analysis. BMJ. 2025 Oct 15;391:e085242. doi: 10.1136/bmj-2025-085242. PMID: 41093618; PMCID: PMC12522397.
[5] Mind-body Exercises. sportärztezeitung online. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/training/20038/mind-body-exercises/
[6] Erbeldinger, R. (2025). Mind-Body Medicine Completes Sports Medicine: Development of a Prophylaxis Model Through Sports Medicine. THE MIND Bulletin on Mind-Body Medicine Research, 7, 23-30. https://doi.org/10.61936/themind/202504306
[7] Kessler CS. et al. Effectiveness of an Ayurveda treatment approach in knee osteoarthritis – a randomized controlled trial. Osteoarthritis Cartilage. 2018 May;26(5):620-630. doi: 10.1016/j.joca.2018.01.022. Epub 2018 Feb 7. PMID: 29426006.
[8] Lim WB, Al-Dadah O. Conservative treatment of knee osteoarthritis: A review of the literature. World J Orthop. 2022 Mar 18;13(3):212-229. doi: 10.5312/wjo.v13.i3.212. PMID: 35317254; PMCID: PMC8935331.
[9] Whole Person Health: What It Is and Why It’s Important. National Center for Complementary and Integrative Health. https://www.nccih.nih.gov/health/whole-person-health-what-it-is-and-why-its-important
[10] Erbeldinger R, Roßberg M, Hub S, Henze A. Prähabilitation (Prähab). sportärztezeitung online. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/20728/praehabilitation-praehab/
[11] Erbeldinger R. Targeted Nutrition – Nutritional Education. sportärztezeitung online. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/20110/targeted-nutrition/
[12] Wild-Bode C. Kollagen und Enzyme. sportärztezeitung 02/25. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/19713/kollagen-und-enzyme/
[13] Niemeyer P, Herbort M, Post F. Nahrungsergänzung – Was kann ich bei Knorpelschaden oder Arthrose in Bezug auf Ernährung und Nahrungsergänzung tun? Podcast Listen2Science. 29.11.2024. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/18261/ernaehrungstherapie-und-nahrungsergaenzung/
[14] Pang A. et al. Short-chain fatty acids from gut microbiota restore Th17/Treg balance in rheumatoid arthritis: Mechanisms and therapeutic potential. Journal of Translational Autoimmunity, Volume 11, December 2025, 100316. https://doi.org/10.1016/j.jtauto.2025.100316
[15] Häger J. et al. The Role of Dietary Fiber in Rheumatoid Arthritis Patients: A Feasibility Study. Nutrients 2019, 11, 2392. https://doi.org/10.3390/nu11102392
[16] Henrotin Y. et al. Oral enzyme combination therapy reduces systemic inflammation, urinary CTXII and pain in knee osteoarthritis: a proof-of-mechanism, randomised, crossover, double-blind, placebo-controlled trial. RMD Open. 2025 Aug 12;11(3):e005433. doi: 10.1136/rmdopen-2025-005433. PMID: 40803821; PMCID: PMC12352264.
[17] Klein G. et al. Efficacy and tolerance of an oral enzyme combination in painful osteoarthritis of the hip. A double-blind, randomised study comparing oral enzymes with non-steroidal anti-inflammatory drugs. Clin Exp Rheumatol. 2006 Jan-Feb;24(1):25-30. PMID: 16539815.
[18] Post F. Hafer und Herzgesundheit. sportärztezeitung 02/25. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/19698/hafer-und-herzgesundheit/
[19] Zeng L. et al. Efficacy and Safety of Curcumin and Curcuma longa Extract in the Treatment of Arthritis: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trial. Front Immunol. 2022 Jul 22;13:891822. doi: 10.3389/fimmu.2022.891822. PMID: 35935936; PMCID: PMC9353077.
[20] Montagnino J. et al. Optimizing orthobiologic therapies with exercise, diet, and supplements. PM R. 2025 Apr;17(4):452-462. doi: 10.1002/pmrj.13320. Epub 2025 Jan 24. PMID: 39853939.
[21] Brockmüller A, Shakibaei M. Epigenetische Wirksamkeit von Curcumin. sportärztezeitung 04/23. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/15026/epigenetische-wirksamkeit-von-curcumin/
[22] Kuptniratsaikul V. et al. Efficacy and safety of Curcuma domestica extracts compared with ibuprofen in patients with knee osteoarthritis: a multicenter study. Clin Interv Aging. 2014 Mar 20;9:451-8. doi: 10.2147/CIA.S58535. PMID: 24672232; PMCID: PMC3964021.
[23] Peng Y. et al. Anti-Inflammatory Effects of Curcumin in the Inflammatory Diseases: Status, Limitations and Countermeasures. Drug Des Devel Ther. 2021 Nov 2;15:4503-4525. doi: 10.2147/DDDT.S327378. PMID: 34754179; PMCID: PMC8572027.
[24] Bittel M. et al. Kurkuma- und Curcuminoid-Behandlung bei Gonarthrose. Zeitschrift für Phytotherapie 2022; 43(06): 243-249 doi: 10.1055/a-1924-9460
[25] Mehta D. et al. Turning Down the Heat: Mind-Body Strategies Against Inflammaging. Journal of Integrative and Complementary MedicineVol. 31, No. 10. Published Online: 14 October 2025. https://doi.org/10.1177/2768360525138371
[26] Denninger JW. et al. Psychological assessments, allostatic load and gene expression analyses in a randomized controlled trial comparing meditation, yoga, and stress education. Front Psychol. 2025 Sep 12;16:1653242. doi: 10.3389/fpsyg.2025.1653242. PMID: 41020112; PMCID: PMC12463968.
[27] Voland, A. et al. Update onkologische Sport- und Bewegungstherapie. Fokus Onkol 28, 40–47 (2025). https://doi.org/10.1007/s15015-025-4316-9
[28] Lison A, Lison D. Teilhaben. Sportmedizin und Rehabilitation. sportärztezeitung 04/25
[29] Michalsen A. Ordnungstherapie, Stressreduktion und Mind-Body-Medizin – Begleittherapien bei chronischen Nierenerkrankungen. Dialyse aktuell 2015; 19(5): 264-269. DOI: 10.1055/s-0035-1556951
[30] Dossett ML, Fricchione GL, Benson H. A New Era for Mind-Body Medicine. N Engl J Med. 2020 Apr 9;382(15):1390-1391. doi: 10.1056/NEJMp1917461. PMID: 32268025; PMCID: PMC7486127.
[31] Erbeldinger R. Group Medical Visits. sportärztezeitung online. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/20203/group-medical-visits/
[32] Branch A. How to use shared medical appointments in under-resourced communities. September 4, 2025. https://lifestylemedicine.org/how-to-use-shared-medical-appointments-in-under-resourced-communities/
Autoren
ist Diplom-Sportwissenschaftler mit Professional Master’s Degree in Sports Medicine sowie postgradualen Weiterbildungen in Mind-Body-Medizin (Harvard Medical School), Psychoneuroimmunologie und Lifestyle Medicine (American College of Lifestyle Medicine); Verleger der sportärztezeitung.
is a certified sports scientist with a professional master's degree in sports medicine and postgraduate training in mind-body medicine (Harvard Medical School), psychoneuroimmunology, and lifestyle medicine (American College of Lifestyle Medicine); publisher of the sportärztezeitung.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Manuelle Medizin. Er leitet als Oberarzt die Sportorthopädie der Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikums Ulm mit dem Schwerpunkt der Betreuung von Mannschaftssportarten (u.a. TVB 1898 Stuttgart). Er ist Vorsitzender des AGA-Komitees „Prävention, konservative Therapie und Rehabilitation“ sowie Vorsitzender der DVSE-Kommission „Konservative Therapie“. Darüber hinaus ist Dr. Henze stellvertretender Vorsitzender der Handballärzte Deutschland und seit 2022 wiss. Beirat der sportärztezeitung.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und ärztlicher Leiter des UKE Athleticum am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. Er hat seit 2021 eine Professur für Orthopädische Sportmedizin am UKE. Außerdem ist er leitender
Mannschaftsarzt der HSV Fußball AG. Sein klinischer Fokus liegt im Bereich der regenerativen Knorpeltherapie, der Behandlung von Sportverletzungen und Überlastungsschäden. Prof. Welsch ist wiss. Beirat der sportärztezeitung.






