In den letzten eineinhalb Jahren hat sich im Gesundheitswesen ein bedeutender Wandel vollzogen: Viele medizinische Eingriffe, die zuvor im Krankenhaus durchgeführt wurden, werden nun in den ambulanten Bereich verlagert. Insbesondere das Fachgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie ist betroffen. Ziel dieser Umstrukturierung ist es, das Krankenhauspersonal zu entlasten und die Gesundheitskosten zu senken.
Jedoch zeigt sich in der Praxis, dass die ambulante Versorgung nicht ausreichend vorbereitet wurde, um diese zusätzliche Belastung zu tragen. Patienten warten mittlerweile deutlich länger auf Facharzttermine, Operationen und Behandlungen als noch vor wenigen Jahren. Mit der geplanten Krankenhausreform könnte sich die Lage weiter verschärfen.
Dr. med. Tobias Vogel, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in München und 2024 Präsident des Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) betont die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Kliniken und niedergelassenen Fachärzten. Er warnt davor, dass die Versorgung insbesondere einer alternden Gesellschaft gefährdet ist und sich die Wartezeiten für Behandlungen und Operationen drastisch verlängern könnten. Erste Anzeichen gibt es schon.
Die Ambulantisierung ist grundsätzlich eine sinnvolle Maßnahme zur Reduktion unnötiger Klinikaufenthalte und längs überfällig. Leider wurde die rechtzeitige Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen verschlafen: „Die Ambulantisierung ist an sich eine gute Idee”, betont der Mediziner. Durch die Verlagerung von stationären ärztlichen Eingriffen in den ambulanten Bereich werden laut Experten Fehlanreize und Fehlsteuerungen im Gesundheitssystem korrigiert. Dies sollte zu der notwendigen Kostensenkung führen, denn Deutschland hat aktuell das drittteuerste Gesundheitssystem weltweit. Doch dieser Plan kann nur gelingen, wenn ausreichend niedergelassene Fachärzte und genügend OP-Kapazität vorhanden sind. „Genau das ist jedoch derzeit nicht der Fall“, so der Mediziner.
Krankenhausreform könnte Versorgungslücken schaffen
Ohne ausreichende Ressourcen in Form von niedergelassenen Fachärzten und OP-Kapazitäten bleibt dies eine Herausforderung. Sollte die geplante Krankenhausreform dazu führen, dass ambulante Versorgungen auf wenige Krankenhäuser konzentriert werden und gleichzeitig viele Kliniken schließen, sind Versorgungslücken vorprogrammiert. Dr. Vogel sieht die Gefahr, dass eine zeitnahe und wohnortnahe Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann. Ein weiteres Risiko der aktuellen Entwicklung ist die Entstehung einer Zweiklassenmedizin, bei der Privatpatienten und Selbstzahler schnellen Zugang zu Behandlungen haben, während gesetzlich Versicherte auf lange Wartezeiten stoßen.
Fachkräftemangel bedroht Reformziele
Die Rekrutierung qualifizierter Fachärzte stellt für die Krankenhäuser eine zusätzliche Herausforderung dar, da der medizinische Nachwuchs begrenzt und die Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland hoch sind.
Dr. Vogel fordert eine Kurskorrektur, um die angestrebten Kosteneinsparungen nicht auf dem Rücken der Versicherten umzusetzen. Eine nachhaltige Reform kann nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Fachärzten gelingen, um den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft gerecht zu werden und die angestrebte Qualitätssicherung zu erreichen.
(Quelle: Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.))