Die Weiterentwicklung und Anpassung des muskuloskeletalen Systems ermöglicht uns den aufrechten Gang und somit sind die Hände nicht mehr für die Fortbewegung nötig, sondern frei für andere Aufgaben (nicht nur zum Tippen auf dem Smartphone). Das fein abgestimmte Zusammenspiel aus neuronaler Kontrolle, Muskeln, Sehnen/Bändern und Knochen ermöglicht Höchstleistungen, die besonders deutlich im Sport zu sehen sind und zu immer neuen Rekorden führen.
Kommt es aber zu Verletzungen oder Veränderungen des Systems, sind die Beeinträchtigungen häufig immens und die Wiederherstellung ist ein langwieriger Prozess. Auch wenn es meist keine lebensbedrohlichen Erkrankungen sind, so sind muskuloskeletale Beschwerden seit Jahrzehnten der Hauptgrund für Arbeitsfehltage [1]. Aufgrund der demographischen Änderungen, der konstanten Alterung der Bevölkerung und dem steigenden Anspruch an eine schnelle Regeneration mit Rückkehr in das Alltagsleben werden neue Therapieansätze für den muskuloskeletalen Bereich immer relevanter. Seit 1999 beschäftige ich mich mit der Regeneration muskuloskeletalen Gewebes, wobei der Fokus auf der Knochen- und Sehnenregeneration und der Infektprophylaxe und -therapie liegt. Seit 2007 arbeite ich mit meinem Team im Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien, welches die Translation von Innovationen im Bereich der regenerativen Medizin zum Ziel hat. Translationale Forschung beinhaltet für mein Verständnis zum einen die Entwicklung, aber auch die Optimierung neuer Therapien, welche dann dem Patienten zu Gute kommen (from bench to bedside), zum anderen aber auch Forschung zum Verständnis der Pathologien, welche notwendige Informationen für die Entwicklung neuer Therapien liefern (from bed to benchside).
Knochenheilungsstörung und Regeneration
Der Knochen besitzt das Potenzial, im Idealfall narbenfrei zu verheilen. Dies erfolgt in verschiedenen Phasen über ein diffiziles Zusammenspiel von mechanischen Reizen, verschiedenen Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Zellen [2]. Störungen dieses Zusammenspiels führen zu Heilungsverzögerungen bis hin zur Nichtheilung. Faktoren wie zunehmendes Alter, Komorbiditäten und ungesunder Lebenswandel beeinflussen jedoch die Regenerationsfähigkeit von Geweben negativ. Da die genauen biologischen Ursachen der Knochenheilungsstörung noch nicht hinreichend bekannt sind, haben wir in den letzten Jahren zwei klinisch relevante Kleintiermodelle etabliert, die eine hypertrophe (vital mit ausreichender Blutversorgung) bzw. atrophe (avital mit gestörter Blutversorgung) Knochenheilungsstörung zeigen. Die Untersuchungen der verschiedenen Heilungsphasen spiegelten das klinische Bild wider und die Analyse des osteogenen und angiogenen Signalweges zeigte, dass es zu einer deutlichen Änderung der Genexpression in den unterschiedlichen Heilungsmodellen kommt. Im atrophen Modell deutet eine Hochregulation angiogener Faktoren auf den Versuch des Organismus hin, der reduzierten Vaskularisierung entgegenzuwirken [3].
Neben den Untersuchungen der Grundlagen der Knochenheilung beschäftigen wir uns auch mit der Analyse und Optimierung zugelassener Ersatzmaterialien zur Füllung knöcherner Defekte, wodurch dieser Forschungsaspekt einen direkten klinischen Bezug hat. Die Untersuchungen zu knöchernen Ersatzmaterialien verglichen verschiedene klinisch verwendete Materialien, wie frisches Knochengewebe (Beckenkamm-Autograft), Spendergewebe (Allograft) und Demineralisierte Knochenmatrizes (DBM). Neben der Quantifizierung der für die Knochenregeneration notwendigen Wachstumsfaktoren wurde auch die biologische Wirksamkeit in vitro und in Tiermodellen untersucht. Die Analysen zeigten eine eindeutig spenderabhängige Qualität der Materialien und Unterschiede in der biologischen Aktivität, welche eine weitere Optimierung nötig macht [4 – 7]. In anderen Studien wurde eine klinisch verwendete Methode zur Gewinnung von Autograft (Reaming Irrigation Aspiration, RIA) untersucht und es zeigte sich ein Wachstumsfaktorengehalt vergleichbar dem im Beckenkamm und ein hoher Anteil an Zellen mit Stammzellphänotyp und osteogenen Eigenschaften. Somit weist das RIA-Material ein ähnliches biologisches Potenzial verglichen zum Goldstandard (Beckenkamm) bzw. Knochenmarksstammzellen auf, wobei mit dem RIA-System mehr Material gewonnen werden kann bei reduziertem Risiko, welches mit der Entnahmeoperation am Beckenkamm verbunden ist [8].
Eine weitere Komplikation der Knochenheilung ist die materialassoziierte Infektion. Ein Material kann noch so optimal für die Geweberegeneration sein, sobald es in den Körper implantiert wird, löst es das „Rennen um die Oberfläche/Race for the surface“ zwischen körpereigenen Zellen und Bakterien aus. Die Funktionalisierung von Materialien mit antimikrobiellen Wirkstoffen stellt daher einen wichtigen Aspekt zur Prophylaxe und Therapie von Infekten dar. Für eine Translation neuer Therapien in die Klinik ist ein perioperativer, patientenindividueller Ansatz wünschenswert. Hierzu habe ich mit meiner Arbeitsgruppe in den letzten Jahren intensiv an einer einfachen und standardisierbaren Methode zur Anreicherung von klinisch zugelassenem Ersatzmaterial mit Wirksubstanzen, wie z. B. verschiedenen Antibiotika, gearbeitet. Zur effektiven Prophylaxe und Therapie von Infekten ist das Wissen über die Antibiotikafreisetzung und somit deren lokale Spiegel im zeitlichen Verlauf extrem wichtig und es konnte gezeigt werden, dass die Antibiotika über eine klinisch relevante Zeit in einer antimikrobiellen Konzentration vorliegen, ohne dass die Konzentrationen eine Hemmung der osteoblastären Zellen verursachten [9]. Die Kombination des Wissens aus der Pathologie der Knochenheilungsstörung, der lokalen Stimulation der Knochenheilung und der Analyse von Ersatzmaterialien finden somit in der Weiterentwicklung therapeutischer Ansätze zusammen und soll letztlich zu neuen Therapien führen.
Sehnenpathologien und Regeneration
In den letzten Jahren haben wir in enger Zusammenarbeit mit den klinischen Kollegen ein weiteres Forschungsfeld erschlossen: die Sehnenpathologie und -regeneration. Unser Ansatz hierbei liegt im Verzicht auf Tiermodelle, welche das klinische Bild hier nur eingeschränkt wiedergeben. Um diese Limitation zu umgehen, verwenden wir humanes Material, welches während der OP mit Zustimmung der Ethikkommission und der Patienten gewonnen wird. Hierbei haben wir die Möglichkeit, sowohl verschiedene Patientencharakteristika zu berücksichtigen, als auch den Heilungsverlauf des Patienten mit den Ergebnissen unserer Studien zu korrelieren. Unter Verwendung von primären Zellen, die aus Sehnenbiopsien von Spendern gewonnen wurden, konnten wir die Zellen charakterisieren, das Stammzellpotenzial zeigen und den Einfluss von Alter, Geschlecht und Degeneration untersuchen [10 – 14]. In weiteren Schritten werden die Unterschiede in der Biologie der Zellen mit klinischen Parametern korreliert. Diese noch frühen Studien liefern dann auch wichtige Grundlagen für die Entwicklung patientenindividualisierter Therapien.
PRP: Plättchenreiches Plasma oder plättchenreiches Placebo?
Wie sieht eine mögliche ideale Therapie für die Regeneration muskuloskeletalen Gewebes aus? Sie muss einen Cocktail an heilungsfördernden Faktoren enthalten, welche wichtige zelluläre Prozesse der Regeneration stimulieren. Sie sollte einfach in der Handhabung, direkt verfügbar, schnell anwendbar und kosteneffizient sein. Im Idealfall wird kein Fremdmaterial verwendet, welches unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. All diese Kriterien scheint die Konzentration von patienteneigenen Thrombozyten (Plättchen, Platelet Rich Plasma, PRP) zu erfüllen und die ersten klinischen Anwendungen hierzu begannen Ende des 20. Jahrhunderts zur Behandlung von Wunden und zur Stimulation der Knochenheilung. Heutzutage sind die von den zahlreichen Herstellern beworbenen Anwendungsgebiete vielfältig, die klinische Evidenz jedoch nur als marginal zu bezeichnen. Berichte zur erfolgreichen Therapie von Spitzensportlern mit PRP unterstützen natürlich die Nachfrage durch den Patienten. Präklinische Studien konnten zwar eine Anreicherung von Wachstumsfaktoren in den PRP-Produkten zeigen, jedoch wurden starke patientenabhängige Schwankungen deutlich. Ebenso konnten in vitro Studien an isolierten Zellen einen positiven Effekt von PRP nachweisen, aber die klinischen Ergebnisse sind nicht eindeutig [15 – 20]. Daher besteht die Notwendigkeit, den Einsatz von PRP kritisch zu betrachten und gute klinische Studien zu initiieren, um die richtigen Indikationen und Therapie-
schemata zu identifizieren.
Fazit
Anhand der vielfältigen Aspekte der Forschung zur muskuloskeletalen Regeneration wird deutlich, dass ein interdisziplinärer Ansatz zur Untersuchung muskuloskeletaler Erkrankungen und der Optimierung von Materialien für die Geweberegeneration notwendig ist. Nur die Zusammenarbeit von Klinikern und Grundlagenwissenschaftlern ermöglicht die Erforschung von Krankheitsursachen und die erfolgreiche Weiterentwicklung von Therapien.
Referenzen:
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Autoren
studierte Biologie an der FU Berlin. Durch einen Aufenthalt in der Schweiz legte sie die Grundlage für ihre Diplomarbeit und darauffolgende Promotion, in welcher sie die Entwicklung des Nervensystems von Drosophila melanogaster untersuchte. 1999 folgte der Wechsel in die unfallchirurgische Forschung (dem jetzigen Centrum für muskuloskeletale Chirurgie und dem Julius Wolff Institut) an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Seit 2009 leitet Prof. Wildemann die AG „Biologische Basis der muskuloskeletalen Regeneration“ am Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien (BCRT).