Moderne und effiziente OP-Methoden sowie eine zunehmende Verbesserung des prä-, peri- und postoperativen Patientenmanagements erlauben zunehmend eine frühzeitige Entlassung der Patienten in die ambulante Weiterbehandlung nach rekonstruktiven Eingriffen im Bereich des Kniegelenkes. Somit rückt die Rehabilitation, jedoch auch die entsprechende Vorbereitung der Patienten im Rahmen der Prähabilitation und eine ganzheitliche Patientenversorgung zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit.
Leitlinien nationaler oder internationaler Fachgesellschaften zur Orientierung in der Planung und Durchführung einer Prä- oder Rehabilitation beschäftigen sich mit diesen Themen allenfalls am Rande. In der aktuellen DGOU Leitlinie Vordere Kreuzband (VKB) Ruptur besteht ein genereller Konsens darüber, dass die Nachbehandlung nach vorderer Kreuzbandruptur aktiv durchzuführen ist. Die häufigsten Verfahren sind: Frühfunktionelle Therapie, Kühlung, […] sowie die Muskelkräftigung der Beuge- und Streckmuskulatur. Im Rahmen der Rehabilitation wird intensive Physiotherapie, Koordinationstraining und Krafttraining empfohlen. Kniebelastende Sportarten und schwere kniebelastende Tätigkeiten sollten frühestens nach sechs Monaten durchgeführt werden und im Leistungssport werden Back-to-Sports oder Back-to-Competition Tests empfohlen [8–10]. Standardisierte und wissenschaftlich belegte Prä- und Rehabilitations-Protokolle existieren von Seiten der großen Fachgesellschaften nicht, sind aber im World Wide Web auf unterschiedlichsten wissenschaftlichen, aber auch semi-professionellen Seiten vertreten. So bleibt es den Nachbehandlern und/oder Operateuren überlassen, ein entsprechendes Prä- und Rehabilitationsschema mehr oder minder detailliert vorzugeben und durchzuführen. Es gilt sich damit auseinander zu setzen, ob einfach umzusetzende, zeitbasierte und standardisierte oder schwieriger umzusetzende, individualisierte Rehabilitationsprotokolle zum Einsatz kommen sollen und ob ein akzelerierter oder verzögerter Rehabilitationsbeginn erstrebenswert ist.
Prähabilitation
Um eine möglichst rasche und vollständige Rekonvaleszenz zu erreichen, sollte im Rahmen der Prähabilitation eine optimale körperliche, psychische und sozialmedizinische Vorbereitung der Patienten erfolgen. Im Vordergrund stehen hierbei neben Maßnahmen zur gezielten Verbesserung der Gelenksbeweglichkeit, abschwellende Maßnahmen, aktives neuromuskuläres Training und Hypertrophie-Training, mit dem Ziel, die Kniegelenksfunktion und die gesamte Beinachsenstabilität zu verbessern sowie die funktionale Muskulatur zu erhalten [5, 7, 13]. Die Optimierung relevanter Begleitfaktoren, wie der (Schmerz-)Medikation und der Nebenerkrankungen sowie die Stoffwechsel- und Ernährungsoptimierung, aber auch die Verbesserung sozialmedizinischer Kontextfaktoren sind wichtig, um eine bestmögliche körperliche und psychologische Unterstützung zu gewährleisten. Eine strukturierte interdisziplinäre Planung der Prähabilitation unter Berücksichtigung dieser Aspekte sollte in diesem Kontext etabliert werden.
Rehabilitation
Längst ist man sich in der Literatur einig, der Prozess der Rehabilitation und des Return to Sport (RTS) ist ein Kontinuum, das unabhängig von zeitlichen Faktoren auf der individuellen Leistungs- und Funktionsfähigkeit eines jeden Patienten aufgebaut sein sollte. Hierbei können einzelne Phasen der Rehabilitation und der Rückkehr zum Sport unterschieden werden (Abb. 1a). An diesen Maßgaben orientiert, kann man den Prozess der Rückkehr zur sportlichen Aktivität und Leistungsfähigkeit anhand eines zunehmenden Schweregrades der Übungen und der Belastungssteigerung betrachten. Angelehnt an das Paper von Buckthorpe et al. [3] werden in diesem Fall im Rahmen der Rehabilitationssteuerung Übungen und Testungen den einzelnen Phasen zugeordnet, sodass sich eine logische Abfolge der Testreihenfolge und des Rehabilitationsverlaufes bis hin zur RTS Testung entwickelt (Abb. 1b). Eine Kriterien-basierte Progression während der Rehabilitation im Rahmen des RTS-Prozesses kann in Kombination mit entsprechenden Richtwerten für die RTS-Freigabe die Möglichkeit eines späteren Versagens des Transplantates nach einer VKB Ersatzplastik verringern [1, 6, 11].
RTS-Testdurchführung: Probleme und praktische Lösungen
Die Auswahl der korrekten Übungen und relevanten Tests im Rahmen der Rehabilitation und beim RTS sind zwar in der aktuellen Literatur vorhanden, jedoch in der Mehrzahl der Fälle in komplexen und teilweise unübersichtlichen Tabellensystemen zusammengefasst. Hinzu kommt, dass selbst wenn die entsprechenden Übungen oder Tests identifiziert wurden, eine objektive Bewertung anhand von Referenz- oder Vorwerten durchgeführt werden sollte. Angaben zu diesen Werten als wichtige Bewertungsgrundlage sind teilweise unvollständig oder beziehen sich auf kleine bzw. sehr spezifische Patientengruppen und können daher auch nur für ein konkretes Kollektiv, z. B: Handball- oder Fußballspieler angewandt werden. Aus diesen Gründen finden Referenzwerte in der Praxis häufig keine Anwendung [3]. Um einer breiten Basis an Therapeuten den Zugang und die Durchführung einer entsprechenden RTS-Testbatterie zu vereinfachen und somit einen Beitrag zur Risikoreduktion einer erneuten Verletzung oder Re-Ruptur für Patienten nach VKB Rekonstruktion zu erreichen, hat sich eine Arbeitsgruppe der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) intensiv mit dem Thema des Return-to-Sport auseinandergesetzt und die in der Literatur vorhandenen Informationen zusammengefasst. Entstanden sind drei RTS-Testmanuale (15 – 75 Minuten), welche mit Referenzwerten versehen sind und somit eine entsprechende Bewertungsgrundlage/Orientierung für den Rehabilitationsstand und die Fähigkeiten zum RTS beinhalten (zu finden unter, siehe Abb. 2).
Somit konnte eine Erleichterung für die Durchführung und das Monitoring für die letzte Phase der Rehabilitation, dem RTS, geschaffen werden. Es verbleiben jedoch offene Fragen, z. B. in Bezug auf den Ergebnistransfer zur gezielten Weiterbehandlung derer Patienten, die nach durchgeführter RTS-Testung keine Freigabe erhielten. Eine Ergebnisweiterleitung durch die Nutzung digitaler Formate kann eine Verbesserung des Ergebnistransfers und eine Erleichterung in der Trainingssteuerung schaffen. So können die Testergebnisse durch die Verwendung entsprechender Software [4] sofort abrufbar dem weiterbehandelnden Therapeuten zur Verfügung gestellt werden. Durch die Nutzung einer Software, gegebenenfalls in Kombination mit einem Inertial-Sensor [12], können Informationen einer großen Community genutzt und weiter analysiert werden. Durch die gewonnenen Daten ist es möglich, für die einzelnen Tests im Rahmen der Rehabilitation bzw. des RTS signifikante Einflussfaktoren zu erkennen und dadurch Korrelationen zwischen Tests und Übungen festzustellen, welche zur Trainingssteuerung eingesetzt werden können (Abb. 3).
Zudem besteht die Möglichkeit, die Patienten anhand ihres Verletzungsmusters und Trainingszustandes mit den entsprechenden Daten aus der Community zu vergleichen und den individuellen Reha-Erfolg anhand von Referenzwerten außerhalb des häufig genutzten Limb Symmetry Index (LSI) zu bewerten (Abb. 4). Hierin besteht der Vorteil, dass die Kniefunktion nicht an der potenziell (degenerativ) geschwächten Gegenseite referenziert wird und somit die Einschätzung differenzierter möglich ist [14]. Das Ziel ist die Entwicklung einer digitalen Rehabilitationssteuerung, welche anhand der individuellen Leistung der Patienten und durch logische Algorithmen eine individuelle Trainingssteuerung ermöglicht. Die Nutzung von online bereitgestellten bild- und videobasierten Trainingsmanualen kann die Qualität der Durchführung verbessern. Hierdurch kann eine Optimierung der Dokumentation, der Qualität und des Ergebnistransfers der Rehabilitationsmaßnahmen erzielt werden.
Fazit
Die Erstellung konkreter Leitlinien zur Prä- und Rehabilitation durch anerkannte Fachgesellschaften wäre wünschenswert. Die Digitalisierung sollte als Chance erkannt und Daten multizentrisch genutzt werden, um Ergebnisse besser bewerten zu können. Hierdurch kann die Dokumentation, die Qualität und der Ergebnistransfer der Rehabilitationsmaßnahmen verbessert werden, mit dem Ziel, das Risiko für erneute Verletzungen zu reduzieren.
Literatur
[1] Buckthorpe, M.: Optimising the Late-Stage Rehabilitation and Return-to-Sport Training and Testing Process After ACL Reconstruction. Sport. Med. 49, 7, 1043–1058 (2019). https://doi.org/10.1007/s40279-019-01102-z.
[2] Buckthorpe, M.: Recommendations for Movement Re-training After ACL Reconstruction. Sport. Med. 51, 8, 1601–1618 (2021). https://doi.org/10.1007/s40279-021-01454-5.
[3] Buckthorpe, M. et al.: Update on functional recovery process for the injured athlete: Return to sport continuum redefined. Br. J. Sports Med. 53, 5, 265–267 (2019). https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099341.
[4] Finkbiner, M.J. et al.: Video movement analysis using smartphones (ViMAS): A pilot study. J. Vis. Exp. 2017, 121, 1–7 (2017). https://doi.org/10.3791/54659.
[5] Giesche, F. et al.: Evidence for the effects of prehabilitation before ACL-reconstruction on return to sport-related and self-reported knee function: A systematic review. PLoS One. 15, 10 October, 1–21 (2020). https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240192.
[6] Grindem, H. et al.: Simple decision rules can reduce reinjury risk by 84% after ACL reconstruction: The Delaware-Oslo ACL cohort study. Br. J. Sports Med. 50, 13, 804–808 (2016). https://doi.org/10.1136/bjsports-2016-096031.
[7] Hartigan, E. et al.: Perturbation training prior to ACL reconstruction improves gait asymmetries in non-copers. J. Orthop. Res. 27, 6, 724 – 729 (2009). https://doi.org/10.1002/jor.20754.
[8] Herbort, M., Lobenhoffer, P.: DGU-Leitlinie 012-005 Vordere Kreuzbandruptur. AWMF online. 012, 1–36 (2018).
[9] Herbst, E. et al.: Functional assessments for decision-making regarding return to sports following ACL reconstruction. Part II: clinical application of a new test battery. Knee Surgery, Sport. Traumatol. Arthrosc. 23, 5, 1283–1291 (2015). https://doi.org/10.1007/s00167-015-3546-3.
[10] Hildebrandt, C. et al.: Functional assessments for decision-making regarding return to sports following ACL reconstruction. Part I: development of a new test battery. Knee Surgery, Sport. Traumatol. Arthrosc. 23, 5, 1273–1281 (2015). https://doi.org/10.1007/s00167-015-3529-4.
[11] Kyritsis, P. et al.: Likelihood of {ACL} graft rupture: not meeting six clinical discharge criteria before return to sport is associated with a four times greater risk of rupture. Br. J. Sports Med. 50, 15, 946–951 (2016). https://doi.org/10.1136/bjsports-2015-095908.
[12] Mateos-Angulo, A. et al.: Kinematic Mobile Drop Jump Analysis at Different Heights Based on a Smartphone Inertial Sensor. J. Hum. Kinet. 73, 1, 57–65 (2020). https://doi.org/10.2478/hukin-2019-0131.
[13] Van Melick, N. et al.: Evidence-based clinical practice update: Practice guidelines for anterior cruciate ligament rehabilitation based on a systematic review and multidisciplinary consensus. Br. J. Sports Med. 50, 24, 1506–1515 (2016). https://doi.org/10.1136/bjsports-2015-095898.
[14] Wellsandt, E. et al.: Limb {Symmetry} {Indexes} {Can} {Overestimate} {Knee} {Function} {After} {Anterior} {Cruciate} {Ligament} {Injury}. J. Orthop. \& Sport. Phys. Ther. 47, 5, 334–338 (2017). https://doi.org/10.2519/jospt.2017.7285.
Autoren
ist Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin. Sie ist als Oberärztin im KSA Spital Zofingen tätig und zertifizierte AGA Arthroskopeurin. Als Mitglied des Komitees Ligamentverletzungen der Deutschen Kniegesellschaft war sie maßgeblich an der Entwicklung der Return to Sport Testmanuale beteiligt.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin sowie AGA zertifizierter Arthroskopeur. Nach seiner Ausbildung im DIAKOVERE Friederikenstift Hannover und der ARCUS Sportklinik ist er aktuell als Oberarzt im Kantonsspital Aarau tätig.