Chronische Knieschmerzen – und keine strukturelle Ursache in Sicht? Was in der manual- und sporttherapeutischen Praxis häufig vorkommt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen oft als funktionelles Problem. Gerade bei ambitionierten und hochaktiven Patienten stoßen klassische Diagnoseverfahren an ihre Grenzen. In solchen Fällen braucht es präzise Methoden, die tiefer blicken – wie die Elektromyographie (EMG).
Im hier vorgestellten Fallbericht wurde bei einem sportlich aktiven Patienten mit langjährigem, unklarem Kniebeschwerdebild die Kombination aus EMG-Diagnostik (myoact) und radialer Stoßwellentherapie (EMS DolorClast®) eingesetzt – mit bemerkenswertem Erfolg. Bereits nach der ersten Behandlung zeigte sich eine massive Schmerzreduktion. Der Wiederbefund nach sechs Wochen dokumentierte nicht nur eine stabile klinische Besserung, sondern auch eine messbare Normalisierung der muskulären Aktivität. Ein Paradebeispiel dafür, wie funktionelle Diagnostik und gezielte Therapie zusammenwirken und Schmerzfreiheit ermöglichen.
Patient und Ausgangslage
Ein 40-jähriger, sportlich sehr aktiver Mann mit einem körperlich fordernden Beruf, stellte sich mit seit drei Jahren bestehenden Schmerzen im linken Knie vor. Die Schmerzen traten medial unterhalb der Patella auf und wurden als stechend bis ziehend mit 6 – 7 / 10 auf der visuellen Analogskala (VAS) beschrieben. Der Schmerz ließ sich durch Treppensteigen klar provozieren, während beim Joggen keine Schmerzen während der Belastung auftraten – allerdings postaktiv. Bergauf-Radfahren im Wiegetritt war ebenfalls schmerzhaft, während bei schwer belasteten Kniebeugen keine Beschwerden bestanden.
Klinische und funktionelle Diagnostik
Die manualtherapeutische Untersuchung zeigte keine strukturellen Auffälligkeiten oder Seitendifferenzen. Die funktionelle EMG-Messung (Mapping März 2025) zeigte hingegen deutliche Dysbalancen in der Aktivierung des vastus lateralis (VL) und vastus medialis (VM) des linken Beins. So zeigten sich bei der Kniestreckung im Sitzen z. B. 421 µV (VL) versus 266 µV(VM) – eine Balance von lediglich 63 %. Noch ausgeprägter waren die Unterschiede bei der Kniestreckung in Rückenlage (57 % Balance). Auch bei funktionellen Bewegungen wie der Kniebeuge (77 %) und dem einbeinigen Squat (99 % – jedoch bei sehr hoher VL-Aktivität) war ein klares laterales Überwiegen zu erkennen. Die Ruheaktivität war ebenfalls leicht asymmetrisch erhöht (11 µV vs. 4 µV).
Therapie
Basierend auf der funktionellen Diagnostik erfolgte eine fokussierte Intervention mittels radialer Stoßwellentherapie (RSWT). Behandelt wurde der mediale Patellabereich in zwei Serien à 4.000 Impulse bei 25 Hz. Die Intensität wurde schmerzadaptiert in Rücksprache mit dem Patienten gewählt. Bereits nach der ersten Sitzung trat eine subjektive Beschwerdebesserung von über 90 % ein. Weitere Maßnahmen erfolgten zunächst nicht, um den Effekt der RSWT isoliert beurteilen zu können.
Verlaufskontrolle – Wiederbefund nach sechs Wochen
Der erneute EMG-Befund (Mapping Juni 2025) dokumentierte eine deutliche Verbesserung der neuromuskulären Balance. Die Gesamtbalance stieg von teils kritischen Werten (57 – 77 %) auf 83 % (Gesamt-Balance-Score). Die Ruheposition war normoton (VL: 4 µV; VM: 3 µV) – ein ausgeglichenes Bild (Tab,).

* Sowohl beim Erst-Mapping als auch beim Wiederbefund wurde die Einbein-Kniebeuge als Pistolsquat durchgeführt. Bei diesem hochfunktionellen Test bewegt sich der Athlet vollständig in die Einbein-Kniebeuge, was eine starke mediale Quadrizeps-Aktivierung erfordert. Normalerweise ist bei Sportlern hier eine höhere Aktivierung des vastus medialis gegenüber dem vastus lateralis zu erwarten. Die verminderte Balance von 99 % auf 74 % reflektiert daher v. a. die Abnahme der lateralen Dominanz und die gesteigerte mediale Aktivierung (803 µV) im Wiederbefund und ist im Sinne der muskulären Balance und Patellaführung funktionell positiv zu bewerten.
Auch die maximale willkürliche Aktivierung (MVA) stieg deutlich an – von 385 µV auf 568 µV (VL) sowie von 195 µV auf 478 µV (VM). Dies deutet auf eine insgesamt verbesserte neuromuskuläre Ansteuerung hin, ohne einseitige Dominanz.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass durch gezielte Stimulation mittels radialer Stoßwelle eine nachhaltige Verbesserung der Muskelansteuerung erreicht werden kann. Die Elektromyographie erwies sich dabei nicht nur als diagnostisches Mittel, sondern auch als qualitatives Monitoring-Instrument, um Therapieerfolge objektiv zu dokumentieren. Der initiale laterale Überhang wurde durch die RSWT reduziert und die Aktivität des vastus medialis gesteigert – ein für die Patellaführung und Schmerzreduktion relevanter Effekt. Insbesondere bei aktiven Patienten ohne strukturelle Pathologie kann eine funktionelle Ursache durch kompensatorische muskuläre Muster vorliegen. Diese lassen sich weder durch bildgebende Verfahren noch durch klinische Tests zuverlässig identifizieren. Hier bietet die EMG-Diagnostik ein evidenzbasiertes Werkzeug, um Defizite sichtbar zu machen und therapeutisch gezielt anzugehen.
Fazit
Die Kombination aus EMG und RSWT stellt eine effektive Herangehensweise zur Behandlung funktioneller muskuloskelettaler Beschwerden dar. In diesem Fall konnte eine nachhaltige Normalisierung der Muskelbalance und eine deutliche Schmerzfreiheit erzielt werden. Die objektive Darstellung des Therapieerfolgs durch EMG-Mapping unterstreicht die klinische Relevanz dieser Methodenkombination im sportmedizinischen Setting. Dank der präzisen funktionellen Diagnostik und Verlaufskontrolle kann der Patient in seine sportlichen Aktivitäten zurückgeführt werden – basierend auf messbaren, stabilen Parametern. Eine weiterführende Betreuung im Rahmen eines gezielten EMG-Biofeedback-Trainings wäre darüberhinaus eine vielversprechende Option, um die neuromuskuläre Kontrolle langfristig zu stabilisieren und Rückfällen präventiv zu begegnen.
Autoren
ist Physiotherapeut B.Sc., Manual- & Sportphysiotherapeut sowie Heilpraktiker für Physiotherapie. Er leitet die Praxis physiotherapie & training ioannidis in Zwingenberg.