Im März gab die TK, Deutschlands größte Krankenkasse mit knapp 11 Mio. Versicherten, bekannt, dass die meisten Arbeitsausfälle im vergangenen Jahr durch Krankschreibungen aufgrund von psychischen Belastungen zustande gekommen sind (21,8 %). Eine durchaus bemerkenswerte Zahl.
Auch schon vor der Corona-Pandemie und den geopolitischen Konfrontationen unserer Tage war der Stresslevel in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst hoch. Eine auf Leistung getrimmte Gesellschaft, in der „mehr“ meistens als „besser“ empfunden wird, gerät leicht in einen Overload, ohne zu wissen, wie man dort wieder heraus kommt. Und auch Kinder und Jugendliche sind davon nicht ausgenommen. In der neuen S3 Leitlinie „Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen“ kamen die Herausgeber um Prof. Dr. Frosch anhand einer Auswertung von 17 Querschnittsstudien zu dem Ergebnis, dass psychosoziale Faktoren eine große Bedeutung im Zusammenhang mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen im Jugendalter haben. Positive Zusammenhänge fanden sich hier für die Faktoren: Depressivität, Angststörung, Essstörung, Mobbing, negative Kognitionen im Zusammenhang mit Rückenschmerzen, hoher Stresslevel und Schulbelastungen.
Nicht verwunderlich, dass in einer überladenen und von Stress gekennzeichneten Gesellschaft das Aufkommen von immer neuen Entspannungstechniken- und methoden bis hin zu Apps, mit denen man angeblich den Stresslevel senken kann, steigt. Man könnte in diesem Zusammenhang schon fast von einer inflationären Flut sprechen. Doch anstelle sich hierbei auf Traditionen und alte Methoden einzulassen, findet auch hier ein unkontrollierter Overload statt. Anstelle mit einfachen Dingen konkret zu beginnen, die schon bewiesen haben, dass sie gut und sinnvoll sind, wird versucht, möglichst vieles und neues auszuprobieren, mit meist eher bescheidenen Ergebnissen. Wie so oft ist auch hier das Problem, dass es keine Ordnung, keine Anleitung und keine Struktur gibt. Ganz so negativ muss es aber nicht sein, dafür hat vor allem ein Mann gesorgt, der vor wenigen Wochen gestorben ist, Herbert Benson. Der US-Amerikanische Arzt, der jahrelang an der Medizinischen Fakultät in Harvard Mind-Body-Medizin gelehrt hat, gilt als Pionier auf diesem Gebiet und hat Evidenz in einen Bereich gebracht, der damals und teilweise auch heute noch gerne, aber fälschlicherweise in eine esoterische Ecke gestellt und bagatellisiert wird. Mit seinem Team aus dem Benson-Henry Institute hat er konkrete Handlungsempfehlungen / Ausbildung dazu entwickelt. Lesenswert für einen Überblick: „A New Era for Mind–Body Medicine“. Es ist an der Zeit, seine Ergebnisse noch fokussierter in die Anwendung zu bringen. Der Bereich der Entspannung gehört mitten in die Sportmedizin, nämlich als fester Bestandteil eines prophylaktischen Konzepts. Es ist eines der innovativsten Themen mit langer Tradition, die wir neben anderen wichtigen Aspekten wie konservative und operative Therapien, (Sport-)Ernährung sowie Training in eine moderne Sportmedizin integrieren. Es ist ein Thema von hoher medizinischer Relevanz, wie z. B. auch die S2k-Leitlinie Koxarthrose zeigt, in der erwähnt wird, dass „Patienten Techniken und Fähigkeiten zum Schmerzmanagement, Entspannung und zur regelmäßigen Bewegung erwerben sollen“. Nur wird nicht gezeigt, wie diese Techniken und Fähigkeiten erlernt und angewendet werden sollen.
Genau hier setzen wir an, Entspannung / Relaxation muss angeleitet und gelernt werden. Maßnahmen, die funktionieren, müssen fokussiert werden. Es muss konkreter werden und auf allen Ebenen stattfinden. In den nächsten Ausgaben der sportärztezeitung werden wir diese Thematik vertiefen und dank den Forschungen von Herbert Benson auch evidenzbasiert und anwendungsorientiert darstellen.
Autoren
ist Dipl. Sportwissenschaftler, Gründer und Herausgeber der sportärztezeitung sowie Gründer und Geschäftsführer von thesportgroup GmbH aus Mainz.
ist Chefredakteur der sportärztezeitung.